Kinder können nichts dafür, wie sie aufwachsen!

Um Adipositas und Typ-2-Diabetes vorzubeugen, braucht es dringend Gesundheits- und Ernährungsbildung für alle!
Kinder haben ein Recht auf Gesundheit, dazu gehört eine gute Ernährungsbildung ©Monkey Business/adobe stock
Adipositas und Typ-2-Diabetes werden zu einer Bürde für das Gesundheitssystem. Ein Problem, das die Politik zu wenig auf dem Schirm hat. Es braucht dringend bessere Vorsorgemaßnahmen. Zentral dafür: Gesundheits- und Ernährungsbildung für alle.

Immer häufiger wird heute bei Menschen schon im Kindes- und Jugendalter an ein Typ-2-Diabetes festgestellt – eine Stoffwechselerkrankung, die vormals auch als ‘Altersdiabetes’ bekannt war. Die Erkrankung geht gerade bei den jungen Betroffenen einher mit einem hohen Risiko für mikrovaskuläre Komplikationen wie Schäden an der Netzhaut des Auges, den Nieren oder auch den Gefäßen in den Füßen. Das Risiko, mindestens eine Begleiterkrankung zu bekommen ist für Menschen, die im jungen Alter an Typ-2-Diabetes erkranken, dabei wesentlich höher sind als für Menschen mit Typ-1-Diabetes in vergleichbarem Alter.

Katastrophe nicht auf dem Schirm

„Die Erkrankung dieser Kinder und Jugendlichen und ihre Folgen bedeuten nicht nur für die betroffenen Menschen sondern auch für unser solidarisch getragenes Gesundheitssystem großen Schaden“, sagt Sandra Schneller, ehemalige Vorsitzende des Deutschen Diabetikerbundes. „Da bahnt sich eine gesundheitsökonomische Katastrophe an, die niemand auf dem Schirm zu haben scheint!“ Schafft es das Thema ‘Diabetes’ mal in die Mainstream-Medien, dann am ehesten, weil Forschende ankündigen, die Krankheit einstmals heilen zu können. Die Pharmaindustrie dagegen hat Menschen mit Typ-2-Diabetes, der fast immer in Verbindung mit Adipositas auftritt, auf ihrem Radar – und erforscht künftige Therapien. Bereits jetzt werden Kinder und Jugendliche mit der Erkrankung zwar medikamentös behandelt. Da aber gerade bei diesen jungen Patient:innen die Therapietreue (Compliance) häufig gering ist, und weil so viele Faktoren im Umfeld die Entstehung, den Verlauf und die Therapie der Erkrankung beeinflussen, ist das bei weitem nicht ausreichend.

Forschende des Universitätsklinikums Ulm haben das familiäre Umfeld von Kindern in den Blick genommen, die aktuell wegen eines Typ-2-Diabetes in Behandlung sind. Sie untersuchten das Auftreten der Stoffwechselkrankheit vor dem Hintergrund verschiedener sozioökonomischer Faktoren. Dazu zählte unter anderem der Bildungsgrad der Eltern, die finanzielle und Wohnsituation der Familie sowie die gesundheitliche Verfassung naher Angehöriger. In sehr vielen Fällen zeigte sich, dass die Erkrankung in Familien auftrat, die in der ein oder anderen Hinsicht besonders belastet waren – sei es, weil die Eltern getrennt leben, finanzielle Unsicherheit herrscht oder ein Migrationshintergrund die Lebenssituation beeinträchtigt.


Aufklärung und Konsumsteuerung


„Die Kinder können nichts dafür, wie sie aufwachsen“, sagt Sandra Schneller dazu. Die Herausforderung: „In den allermeisten Fällen, wo ein Kind an Typ-2-Diabetes erkrankt, müsste die ganze Familie ihr Verhalten und ihren Lebensstil ändern.“ Dabei brauchen sie Unterstützung und Anleitung. Die wichtigsten und wirksamsten Mittel gegen den stetigen Anstieg der Typ-2-Diabetes Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter sind Aufklärung über die Erkrankung sowie Gesundheits- und Ernährungsbildung. „Natürlich kann man Menschen in Fragen der Ernährung und des Lebensstils nicht bevormunden“, sagt Schneller. „Umso dringender müssen sie informiert sein.“ Das heißt zum Beispiel, dass man einem Produkt möglichst einfach ansehen können muss, ob es schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann. Das gilt vor allem für hochprozessierte Lebensmittel wie Fertiggerichte sowie für Softdrinks. Auch über den Preis lässt sich das Konsumverhalten beeinflussen. Deshalb ist eine höhere Steuer auf stark zuckerhaltige Lebensmittel ebenso sinnvoll wie die Befreiung von der Umsatzsteuer bei Obst, Gemüse und Grundnahrungsmitteln.

Gesundheitsbildung für alle

„Wir sehen die steigenden Zahlen als eine Mahnung an Politik und Gesundheitsökonomen, ihrer Verpflichtung nachzukommen, Prävention und Aufklärung zu stärken“, sagt Schneller weiter. Um Gesundheit flächendeckend und unabhängig vom sozioökonomischen Status der Familien zu fördern, braucht es die Vernetzung verschiedener Akteure auf allen Ebenen. Bildungs- und auch Freizeiteinrichtungen stehen als Vermittler von Wissen und Kompetenzen im Fokus. „Wir wünschen uns Maßnahmen, die auf dem direktesten Weg alle erreichen. Das kann die einheitliche gesunde Versorgung mit Frühstück und Mittagessen in Schule und Kita sein, ein Schulfach ‘Gesundheit und Ernährung’ oder niedrigschwellige kostenfreie Mitgliedschaft in Sportvereinen.“ Auch die Zeiten in der Ganztagsbetreuung bieten sich an, um diese Themen zu behandeln und Kinder mit Wissen und ganz praktischen Kompetenzen auszustatten.


Bei den jungen Menschen sieht Schneller großes Potential: „Viele junge Menschen haben ja Lust, sich beispielsweise vegetarisch oder vegan zu ernähren – ihnen fehlen aber Angebote und Ideen dafür“, weiß Sandra Schneller. Wenn Familien also nicht die Möglichkeiten haben, Kinder in Sachen Gesundheit und Ernährung hinreichend zu bilden, muss der Weg eben umgekehrt funktionieren: Schüler:innen tragen ihr Wissen und ihre Gesundheitskompetenzen aus den Bildungseinrichtungen ins Elternhaus.

Über Uns

Der Deutsche Diabetiker Bund (DDB e.V.), gegründet am 02.01.1961, ist Deutschlands älteste Selbsthilfeorganisation für Menschen mit Diabetes. Mit Sitz in Berlin und bundesweiten Landes- und Regionalverbänden, setzt sich der Verein seit über 70 Jahren für die Lebensqualität von Diabetikern ein. Zu den Zielen zählen eine flächendeckende ambulante und stationäre Versorgung, Prävention, Aufklärung, patientenorientierte Diabetestherapie, regelmäßige Schulungen sowie psychosoziale und sozialrechtliche Unterstützung. All dies geschieht mit dem Ziel, die höchstmögliche Lebensqualität für Betroffene zu gewährleisten.

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