Viele Menschen mit mit Adipositas und Typ-2-Diabetes leiden an einer Fettleber – die wiederum den Diabetes verstärken kann. Ein Team von Forschenden an der Berliner Charité untersucht, wie eine proteinreiche Ernährung der Fettleber entgegenwirken und den Diabetes lindern kann. Der Deutsche Diabetikerbund e.V. fördert diese Studie. Hier sprechen wir mit dem Studienleiter Professor Andreas Pfeiffer über die Hintergründe und Ziele seiner Forschung.
DDB: Welche Rolle spielt die Leber im menschlichen Stoffwechsel?
Prof. Andreas Pfeiffer: Die Leber erfüllt verschiedene wichtige Funktionen im menschlichen Energiestoffwechsel. Zum einen speichert sie unverbrauchte Zucker aus kohlehydratreicher Nahrung in Form von Glycogen, auch ‘Leberstärke’ genannte. Es kann bei Bedarf wieder zu einfachem Zucker abgebaut und freigesetzt werden. Wenn die Glycogenvorräte einmal aufgebraucht sind, kann die Leber selbst Zucker produzieren, um insbesondere das Gehirn zu versorgen. Außerdem produziert sie Fett als langfristigeren Energiespeicher, wenn wir mehr Energie zu uns nehmen, als wir verbrauchen.
DDB: Und dann entsteht eine Fettleber?
Pfeiffer: Die Fetteinlagerungen in der Leber entstehen vor allem aufgrund von kohlehydratreicher Kost. Und natürlich bei einem Nahrungsexzess. Die Leber ist nun mal der erste Zwischenspeicher für zu viel gegessene Kalorien.
Von einer Fettleber spricht man ab einem Fettgehalt von über 5,5 Prozent im Lebergewebe. Ihr Auftreten ist eng mit Adipositas assoziiert. Zum Vergleich: Eine gesunde Leber hat etwa ein bis zwei Prozent Fettgewebe, die meisten schlanken Menschen bewegen sich in diesem Bereich.
DDB: Welche Rolle spielt Insulin für das Geschehen in der Leber?
Pfeiffer: Insulin spielt bei den Stoffwechselvorgängen in der Leber eine Schlüsselrolle: Das Hormon steuert die Produktion von Fett, das in den Zellen eingelagert wird. Und es reguliert die Speicherung und Freisetzung von Zuckern in und aus den Zellen der Leber. Damit der Zuckergehalt im Blut im richtigen Bereich liegt, braucht es die fein abgestimmte Balance von Insulin und seinem Gegenspieler, dem Glucagon. Es ist verantwortlich für die zusätzliche Produktion von Zucker. In einer gesunden Leber regulieren Glucagon und Insulin sich gegenseitig: Wenn Glucagon einen Zuckeranstieg im Blut auslöst, wird anschließend auch etwas Insulin freigesetzt. Und wenn der Zucker sinkt, wird wieder Glucagon ausgeschüttet.
DDB: Und bei einer Fettleber ist diese Balance gestört?
Pfeiffer: Eine übermäßige Einlagerung von Fett führt dazu, dass die Leberzellen zunehmend insulinresistent werden. Sie können weniger Zucker aus dem Blut aufnehmen und es kommt zu erhöhtem Nüchternblutzucker – einem Vorstadium des Diabetes Mellitus.
Insulinresistente Fettzellen setzen zudem, gerade bei einem hohen Fettanteil im Gewebe, mehr Fettsäuren frei. Diese tragen wiederum in der Leber zur Verfettung bei.
DDB: Das Vorliegen einer Fettleber begünstigt also die Entstehung von Diabetes?
Pfeiffer: Ja. Und durch den erhöhten Blutzucker bei vorliegendem Diabetes wird wiederum mehr Fett produziert – ein Teufelskreis.
Zudem verursacht das Leberfett eine Entzündung des Gewebes. Hält sie an, geht sie in eine Fibrose über, also eine Vernarbung des Gewebes. Die kann schließlich in schweren Schädigungen münden, einer Zirrhose, bei der die Leber ihre Funktionen nicht mehr erfüllen kann. Auch das Risiko für Leberkrebs steigt. Die Entzündung betrifft auch andere Gewebe und verstärkt die Neigung zu Atherosklerose, einer Erkrankung der Blutgefäßwände. Als Folge können Herzinsuffizienz, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall auftreten.
DDB: Sie wollen der Fettleber mit einer proteinreichen Ernährung entgegenwirken. Wie kamen Sie und ihre Kolleg:innen überhaupt auf diese Idee?
Pfeiffer: Der Nutzen einer proteinreichen Ernährung war lange Zeit umstritten. Das liegt auch daran, dass Vermutungen in die ein oder andere Richtung vor allem auf epidemiologischen Studien basierten. Bei solchen Beobachtungen spielen aber viele verschiedenen Faktoren unkontrolliert zusammen.
Wir wollten in einer Studie gezielt herausfinden, ob sich Proteine tierischer und pflanzlicher Herkunft grundlegend in ihrer Wirkung auf den Fettstoffwechsel unterscheiden. Dass sie unabhängig von ihrer Herkunft einen derart positiven – also senkenden – Effekt auf den Leberfettanteil haben, war zunächst ein zufälliger Befund dieser Studie. Die proteinreiche Ernährung hat das Leberfett bei Diabetespatient:innen um 35 – 45 Prozent vermindert – das ist enorm. Wir waren total überrascht, und mit uns die Fachwelt. Die Ergebnisse dieser Studie von 2017 werden deshalb bis heute viel beachtet.
DDB: Eine proteinreiche Ernährung hilft also, Leberfett zu reduzieren. Wissen Sie inzwischen, warum das so gut funktioniert?
Pfeiffer: Grundsätzlich stimulieren bestimmte Aminosäuren, also die einzelnen Bausteine der Proteine, nach einer Mahlzeit die Ausschüttung von Glucagon. Das regt, wie bereits erklärt, die Produktion von Zucker an. Amerikanische Forschende fanden inzwischen heraus, dass dafür insbesondere Leberfette verbraucht werden.
DDB: Heißt das also: Wenn wir Proteine zu uns nehmen, löst das den Abbau von Leberfett aus und die entstehenden Zucker werden für die Energieproduktion verbraucht?
Pfeiffer: Ja, wenn nicht zu viel andere Energie zugeführt wird, also die Menschen nicht mehr essen, als sie verbrauchen…
DDB: Welchen weiteren Fragen gehen Sie in der aktuellen Studie ‘MoCa-2’ nach?
Pfeiffer: Proteinreiche Ernährung ist umstritten, da ein hoher Konsum von rotem und stark verarbeitetem Fleisch epidemiologischen Studien zufolge mit vermehrter Sterblichkeit verbunden ist. Allerdings sind Menschen, die viel Fleisch essen oft grundsätzlich weniger achtsam in ihrer Nahrungsauswahl und haben einen anderen Lebensstil als Menschen, die Fleisch bewusst reduzieren. Diese Einflussfaktoren schalten wir durch die Bedingungen in unserer Studie weitgehend aus. So erhalten wir ein klareres Bild davon, welche Effekte tatsächlich auf das Protein in der Ernährung zurückgehen.
Milchprotein ist nach derzeitigem Kenntnisstand hinsichtlich gesundheitlicher Schäden eher neutral einzuschätzen als große Mengen Fleisch. Wir vergleichen in unserer Studie zwei verschiedene Milchproteine, Molke und Casein. Sie führen zum Anstieg sehr unterschiedlicher Aminosäuren im Blut und wirken dadurch unterschiedlich auf die Freisetzung von Glucagon, dem Gegenspieler des Insulin. Wir wollen sehen, welchen Unterschied das für die Reduktion des Leberfettes macht. Eine Gruppe Teilnehmender erhält zudem pflanzliches Protein. So wollen wir herausfinden, ob die Proteinquelle entscheidend für den Einfluss auf Stoffwechsel und Leberfett ist. Die zentrale Frage ist also, welches der Protein am effektivste ist.
Neben der Kontrolle des Leberfettes beobachten wir anhand der Blutproben der Teilnehmenden eine Reihe von Stoffwechselvorgängen, zum Beispiel die Menge der Blutfette, das Ausmaß einer Insulinresistenz, Entzündungen. Und wir messen die Menge bestimmter Signalstoffe, die das Fettgewebe freisetzt. So wollen wir die physiologischen Zusammenhänge noch besser verstehen.
Und wir hoffen, für unsere weitere Forschung auch Hinweise darauf zu erhalten, ob proteinreiche Ernährung einer Fibrose vorbeugen könnte.
DDB: Menschen mit Typ-2 Diabetes können als Proband:innen an der Studie teilnehmen.Was erwartet die Teilnehmenden bei MoCa-2?
Pfeiffer: Sie werden per Zufall auf eine von vier Gruppen aufgeteilt und erhalten entweder eines der drei Proteine – Molke, Casein oder pflanzliches, oder sie bekommen eine Kontrollflüssigkeit ohne extra Protein. Dabei wissen sie nicht, welches der Präparate sie erhalten; diese ‘Verblindung’ ist wichtig für die Aussagekraft der Studie. Die Proteine werden als Getränke zusätzlich zur gesunden Ernährung verabreicht. Wir beraten alle Teilnehmenden, damit sie eine gesunde Ernährung einhalten. Wahrscheinlich reduziert die gesunde Ernährung an sich das Leberfett bereits zu einem gewissen Maß.
DDB: Könnten Sie auf Basis der bisherigen Ergebnissen bereits konkrete Ernährungsempfehlungen für Menschen mit Typ-2 Diabetes formulieren?
Pfeiffer: Es gibt erst sehr wenige langfristige Studien zu proteinreicher Ernährung. Die gerade publizierten Ernährungsempfehlungen der Europäischen Diabetes Gesellschaft (EASD), zu denen wir auch beigetragen haben, sind in dieser Hinsicht daher noch eher zurückhaltend. Eine dreijährige Studie mit 500 Teilnehmenden, die wir jüngst mit Förderung des BMBF durchgeführt haben (NutriAct Studie), zeigt aber bereits sehr positive Ergebnisse. Ich bin aufgrund aller meiner Kenntnisse für ein proteinreiches Ernährungsmuster. Es muss allerdings im Zusammenhang mit gesunder Ernährung und insbesondere gesunden überwiegend ungesättigten Fetten und einem hohen Anteil an Ballaststoffen und pflanzlichen Komponenten stehen.
Das Interview führte Dr. Ulrike Schneeweiß für den DDB e.V.